Replik zum Kommentar von Nikolaus Bernau am 29.09.2024 im Tagesspiegel
Mit der modernen Architektur, die nach dem zweiten Weltkrieg in der DDR und der BRD (und Westberlin) geschaffen wurde, geht man in Berlin oftmals ähnlich bedenkenlos um. Es wurde in Ostberlin nicht nur der Palast der Republik und das Ahornblatt abgerissen. Aber das Haus das Reisen, Haus des Lehrers und Kongresshalle bleiben erhalten. Im Westteil der Stadt konnte der Mäusebunker der Hänskas in letzter Minute vor dem Abriss gerettet. Hänskas Sternhäuser der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik sind zum Abriss bestimmt. Und doch gibt es einen Unterschied: Gegen Architektur aus DDR-Zeit gibt es generell eine latente Geringschätzung. So werden in Berlin seit Jahren gute, städtebauliche ausgereifte Wohnensemble im Ostteil der Stadt unter Missachtung ihrer städtebaulichen und sozialen Qualitäten rücksichtlos nachverdichtet. Im Westteil geschieht dies im Einzelfall auch, aber im Ostteil der Stadt hat diese Mißachtung der gebauten Stadtqualität systematischen Charakter. – Nicht um die „Ossis“ zu kränken, sondern weil man die städtebauliche Qualität des DDR-Wohnungsbaus nicht wahrnimmt, nicht wahrnehmen will. Politiker, Baubehörden und öffentliche Bauherren meinen: da ist doch noch Platz, da können wir doch noch Wohnhäuser dazwischen bauen – ob in Pankow, Lichtenberg. Hellersdorf, Treptow oder Köpenick. Bei den großzügigen Wohnanlagen aus den 20er und 30er Jahren kommen die gleichen Leute nicht auf solch ignorante Pläne, auch wenn die Wohnanlagen nicht unter Denkmalschutz stehen, weil sie diese wertschätzen.
Auch das Jahnstadion ist ein solcher Fall von Ignoranz oder gar Verachtung für die bauliche DDR-Hinterlassenschaft. Da scheuen verantwortliche Politiker und Funktionäre auch keine Herabwürdigung: das „Mielke-Stasi-Stadion“ muss weg. Selten waren die kulturkämpferischen Untertöne so unüberhörbar wie in diesem Fall.
Michail Nelken, Anwohner (01.10.2024)